Quartäre Bildung

Wie sehen sich Hochschulen in Deutschland als Anbieter für lebenslanges Lernen?

Steigende Lebensarbeitszeit und kürzer werdende Innovationszyklen machen lebenslanges Lernen zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Arbeitswelt 4.0. Wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen, auch Quartäre Bildung genannt, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Es gilt, die Verantwortung der Hochschulen für das Thema weiter zu stärken und nachfrageorientierte Angebote in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern systematisch auszubauen.

Ein Großteil aller Weiterbildungsmaßnahmen findet jedoch außerhalb akademischer Einrichtungen statt. Die Hochschulen stehen im Wettbewerb mit gewerblichen Anbietern. Die Angebote staatlicher Hochschulen müssen deshalb kostendeckend organisiert sein. Viele Hochschulen sehen Quartäre Bildung jedoch noch nicht als Kernaufgabe. Doch das Marktpotenzial ist groß. Eine Orientierung auf Akademiker, die sich tendenziell reger in der Weiterbildung beteiligen, und ein Schwerpunkt bei Zertifikatskursen, die flexibel und ertragsorientiert organisiert werden können, bilden aktuell die Grundlage für die Erschließung dieses Potenzials.

 

Weiterbildung als Nische?

Rund 80 Prozent der befragten Hochschulen haben Angebote zur wissenschaftlichen Weiterbildung2. Doch im Vergleich zum gesamten Studienbetrieb ist die Zahl der Teilnehmer je Hochschule eher gering. Nur 3,8 Prozent aller Studierenden in Deutschland sind in weiterbildenden Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Fast genauso viele nehmen an Zertifikatskursen teil. Insgesamt kommen die meisten Teilnehmer von staatlichen Universitäten, gefolgt von privaten Hochschulen, welche immer noch fast zweimal so viele Teilnehmer verzeichnen wie staatliche Fachhochschulen.

Unter wissenschaftlicher Weiterbildung werden kostenpflichtige Weiterbildungsangebote verstanden im Sinne der Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer akademischen oder beruflichen Ausbildung, in der Regel nach Aufnahme einer Erwerbs- oder Familientätigkeit.

Zertifikat statt Hochschulabschluss

Wissenschaftliche Weiterbildung bietet die Möglichkeit, einen akademischen Grad zu erwerben. Dabei müssen die Teilnehmer an der jeweiligen Hochschule eingeschrieben sein. Somit werden Inhalte und Richtlinien im Curriculum und in der Prüfungsordnung von der Hochschule festgelegt. Zwei Drittel der Weiterbildungsangebote bieten jedoch keinen akademischen Abschluss, sondern ein Zertifikat an. Pro Hochschule gibt es davon im Durchschnitt 13 Angebote. Weiterbildungsstudiengänge mit Masterabschluss (4,5 Angebote) und mit Bachelorabschluss (2,2 Angebote) sind
seltener vertreten. Staatliche Hochschulen dürfen in der Regel keinen Weiterbildungsbachelor anbieten. Daraus ergibt sich die Diskrepanz zu privaten Hochschulen, die wiederum relativ viele solcher Angebote haben.

Flexibilität im Studium großgeschrieben

Quartäre Bildung als Aufstiegsmöglichkeit für beruflich Qualifizierte und als Brücke in akademisch geprägte Berufe steht nur selten im Fokus der Hochschulen. Laut Befragung richten sich mindestens drei Viertel der Weiterbildungsangebote insbesondere an Teilnehmer, die bereits einen Hochschulabschluss haben. Meist sind die Weiterbildungen so organisiert, dass sie parallel zu beruflichen oder anderen Tätigkeiten wahrgenommen werden können. Am häufigsten werden sie deshalb in Teilzeit angeboten, zum Beispiel als Studium am Abend oder am Wochenende.
Oft sind sie auch räumlich und zeitlich flexibel studierbar, beispielsweise mithilfe von Online- oder Blended-Learning-Angeboten. Nur jedes siebte Angebot zur Weiterbildung verlangt ein Vollzeitstudium.

Breites Fächerspektrum im Angebot

Die Weiterbildungsmöglichkeiten an deutschen Hochschulen sind vielfältig und werden über alle akademischen Disziplinen hinweg angeboten. Den höchsten Anteil erreichen die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. An staatlichen Hochschulen sind zudem Mathematik und Naturwissenschaften stark vertreten, an staatlichen Universitäten wird auch oft Weiterbildung in Sprach- und Kulturwissenschaften angeboten. Private Hochschulen spezialisieren sich neben den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften häufig auf Weiterbildung in Medizin und den Gesundheitswissenschaften.

Organisatorische Vielfalt

Weiterbildungsangebote können zentral oder dezentral organisiert sein. Sie können innerhalb bestehender Strukturen, insbesondere durch die Fakultäten und Fachbereiche, oder durch spezielle Organisationseinheiten, wie zum Beispiel Professional Schools oder Zentren für Weiterbildung, erbracht werden. Eine zentrale Einheit kann eine gute Koordinierung der Weiterbildungsangebote
und umfassende Unterstützung leisten. Jedoch ist auch eine Verankerung in der Leitungsebene für die strategische Entwicklung der Weiterbildungsaktivitäten wichtig3. Zentrale und dezentrale Strukturen werden von einer gleich großen Zahl (57 Prozent) der Hochschulen, teilweise auch parallel, genutzt. Etwa ein Viertel der Hochschulen hat die Aufgabe zudem in eine gemeinnützige oder private Institution ausgelagert.

Die in den Hochschulgesetzen festgeschriebene Aufgabe wird jedoch nur an 15 Prozent der staatlichen Hochschulen über entsprechende Ressortwidmungen (Vizepräsident oder Prorektor) abgebildet. Siehe dazu den Fachartikel des Stifterverbandes "Forschung, Lehre, Und? Kernaufgaben von Hochschulen sind unzureichend in ihren Leitungsebenen verankert", 2016.

Externe Referenten gefragt

An nahezu jeder zweiten Hochschule besteht die Möglichkeit, die Lehre in der Weiterbildung innerhalb des regulären Lehrdeputats zu leisten. Hochschulleiter weisen jedoch darauf hin, dass hierbei aufgrund der regulären Lehraufgaben häufig Kapazitätsprobleme auftreten. In Form einer zusätzlich vergüteten Nebentätigkeit können Lehrende ihren Weiterbildungsunterricht nur an 10,5 Prozent der Hochschulen anbieten. An den staatlichen Hochschulen fehlt diese Möglichkeit nahezu vollständig. Fehlende Kapazitäten und Anreize innerhalb der eigenen Organisation können ein Grund dafür sein, dass im Durchschnitt 41,4 Prozent der Lehrveranstaltungen durch extern rekrutierte Referenten erbracht werden.

Marktbedarfe ausreichend berücksichtigt?

Ein Studium in der Erstausbildung soll einerseits auf die Arbeitswelt vorbereiten, andererseits aber auch grundlegende wissenschaftliche Fertigkeiten vermitteln. Quartäre Bildung muss dagegen stärker spezifische Bedarfe des Arbeitsmarktes und berufliche Vorkenntnisse der Studierenden berücksichtigen. Bei Einrichtung und Gestaltung von Weiterbildungsangeboten orientieren sich Hochschulen häufig am Bedarf im wirtschaftlichen Umfeld (63,3 Prozent). Rund die Hälfte entwickelt Angebote auf Nachfragen konkreter Arbeitgeber und potenzieller Teilnehmer. Am häufigsten kommt der Impuls von den Professoren selbst. So werden an über 80 Prozent der Hochschulen die Angebote häufig auf Initiative der Lehrenden entwickelt.

Staatliche Hochschulen tragen Entwicklungskosten oft selbst

Quartäre Bildung an staatlichen Hochschulen darf nicht aus den Grundmitteln finanziert werden. Stattdessen müssen alle Aufwendungen auf Vollkostenbasis durch zusätzliche Finanzmittel gedeckt sein. Besonders schwer ist dies in der Entwicklungsphase, das heißt bei der Konzeption und Implementierung der Weiterbildungsangebote, wenn noch keine Teilnahmegebühren erhoben werden können. Zudem wird nur ein kleiner Teil der Aufwendungen in dieser Phase durch beteiligte Hochschulträger (5,9 Prozent), insbesondere die Länder, und Arbeitgeber (4,9 Prozent) finanziert. An staatlichen Universitäten leisten jedoch Bundesmittel eine gewisse Unterstützung. Damit ist der Eigenanteil dort geringer als an den Fachhochschulen.

Synergien durch Kooperation

Kooperationen mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft können die hochschulischen Weiterbildungsangebote stärken. Sie können nicht nur zu einer Ausdifferenzierung des Angebotes beitragen, sondern auch die Teilnehmerrekrutierung befördern. Fast alle Hochschulen kooperieren bei einzelnen Weiterbildungsangeboten mit externen Partnern. So kooperiert jeweils rund jede vierte Hochschule häufig mit anderen Hochschulen, nicht-hochschulischen Bildungsträgern sowie regionalen Arbeitgebern. Seltener findet die Zusammenarbeit mit überregionalen Arbeitgebern statt.

Weiterbildungsmarkt als Finanzierungsmöglichkeit

Hochschulen können ihre Einnahmen in der Weiterbildung aus Gebühren oder Entgelten generieren. Während Gebühren an den tatsächlichen Kosten gemessen werden, dürfen aus Entgelten Überschüsse produziert und weiterinvestiert werden. Erste Schätzungen im Hochschul-Barometer zeigen, dass eine Hochschule in Deutschland in der Weiterbildung durchschnittlich etwa 2.000 Euro pro Teilnehmer im Studienjahr einnimmt. Das finanzielle Potenzial für Hochschulen ist demnach beachtlich. Dieses ergibt sich aus den vier Millionen Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss, die an externen, bisher meist außerhochschulischen, Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben (Stand: 2015). Allein Unternehmen investierten dabei rund 330 Millionen Euro in Studium und akademische Weiterbildung ihrer Mitarbeiter (+15 Prozent seit 2009).

Die Unterschiede zwischen den Hochschultypen, aber beispielsweise auch innerhalb der Gruppe privater Hochschulen, sind groß. Daher sollte diese Schätzung als erste Annäherung interpretiert werden.